Der Tag begann mit einer Führung durch die „Räume der Neugier“, die uns als Büros und Denkfabriken für das Projekt dienen. Im Zentrum des Tages stand die interaktive Anwendung der Methode „Thinking at the Edge“ (TAE), geleitet von Prof. Dr. Sigríður Þorgeirsdóttir und Prof. Dr. Donata Schoeller (University of Iceland). Unter dem Motto: „Etwas Wichtiges kann entstehen, wenn wir auf eine bestimmte Art und Weise miteinander sprechen“ (Donata Schoeller) erforschten die 11 Teilnehmenden, wie neue Gedanken und Sprachen in oft festgefahrenen Unternehmensstrukturen ermöglicht werden können. Doch wie kann uns die Methode "Thinking at the Edge (TAE) dabei helfen, aber wie genau soll das denn nun gehen?
Es geht bei TAE um eine Form des "Embodied Critical Thinking" und Understanding. Also die Erfahrung, dass wir, wenn wir den gesamten Körper einbeziehen und auch dem impliziten Wissen Raum geben, eigentlich so viel mehr spüren. Diese gefühlte Dimension des Denkens umfasst komplexere Hintergründe als wir manchmal annehmen und greift auf all unser Erfahrungswissen zu. Insbesondere in Unternehmen besteht jedoch oftmals der Wunsch nach faktenbasierten Entscheidungen, so dass es einer kulturellen Veränderung bedarf, damit auch die Intuition und das Bauchgefühl ihren Raum in Entscheidungsprozessen haben dürfen. Im Hinblick auf die Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Mehrdeutigkeiten (VUCA), denen Unternehmen gegenüberstehen, können oft gar nicht mehr alle Fakten zusammengetragen werden, um Probleme „vom Kopf her zu lösen“. Wir müssen lernen das Vertrauen in unseren „felt sense“, also die körperlich gespürte Bedeutung eines Themas oder einer Situation, zu stärken. Es gilt, das implizite Wissen mit Hilfe der Methode TAE in Sprache zu fassen.
TAE gliedert sich dabei in 14 Schritte, die in drei Phasen gegliedert sind. Ausgangspunkt ist ein Thema, das einem noch nicht ganz klar ist und dem wir Zeit geben wollen, damit es sich entwickeln und greifbar werden kann. TAE soll dabei einen geschützten Raum für diesen schöpferischen Prozess des „mit einem Thema schwanger Gehens“ bieten. Eine Erkenntnis beim Community-Tag war zudem, dass diese Methode auch stillere und introvertierte Personen einen Raum zum gemeinsamen kreativen Denken geben kann.
Begleitet und unterstützt wird der Prozess der denkenden Person von einer weiteren Person, die aktiv zuhört. Oftmals werden wir in Denkprozessen zu schnell unterbrochen, obwohl wir das, was wir da gerade entwickeln und konstruieren, noch einen Moment vor externen Eingriffen „schützen“ sollten. Deshalb gelten bei TAE einige „Spielregeln“: Die Wichtigste ist, dass die zuhörende Person das Gesagte nicht kommentieren und keine Vorschläge oder Kritik teilen soll. Sie soll mit voller Aufmerksamkeit zuhören und dabei das Gesagte mitschreiben, insbesondere die Details, die lebendig sind und „glühen“. Das Mitschreiben unterstützt dieses aktive Zuhören und ermöglicht zudem, dass die zuhörende Person das Gesagte der denkenden Person von Zeit zu Zeit mit denselben Worten „zurücklesen“ kann. Dabei sollten möglichst exakt dieselben Ausdrücke und Begriffe verwendet werden.
Es war spannend, sich als zuhörende Person selbst zu beobachten, wie ungewohnt und auch energie-raubend diese Art des Zuhörens ist und welche Gedankengänge in einem selbst dabei angestoßen wurden und an welchen Stellen man ungeduldig wurde.
Als denkende Person hingegen hat man die Aufgabe, sich ganz auf das Thema einzulassen und zu bemerken was unklar ist, ohne vorschnell Antworten finden zu wollen. Es gilt, sich nicht unbedingt zufrieden zu geben mit Formulierungen, die schnell kommen, um wahrzunehmen, ob es nicht noch mehr gibt, was es dazu zu sagen gibt. Häufig gibt es zusätzlich bei jedem Thema eine Crux-Dimension, etwas das beim Verstehen des Themas irgendwie „stört“ bzw. „im Weg steht“. Paradoxe, nicht zusammenpassende, vielleicht sogar widersprüchliche Aspekte überfordern uns, und wir würden sie gerne überspringen, aber genau sie können uns in die Tiefe dessen führen, worum es im Kern des Themas eigentlich geht. Im Umgang mit dieser Crux gilt es, neugierig und wohlwollend mit sich selbst zu bleiben, um zu diesem „the edge“ zu gelangen, nämlich genau dahin, wo die Worte noch fehlen. Genau dort kann uns die gefühlte Bedeutsamkeit, der „felt sense“, einen neuen Zugang zum Thema verschaffen.
Diese Methode des Denkens und Zuhörens wird für alle drei Phasen genutzt. Ziel von TAE ist es, im ersten Schritt eine Art „Griff“ zu finden, der das ganze Thema wie einen Koffer festhält. Es gilt zu beschreiben, um was es einem bei dem Thema „wirklich“ geht und mit welchem Wort/ Kernsatz dies zu fassen ist. Es muss einem mit diesem Griff wirklich gut gehen, sonst sollte man weitersuchen. Meist nimmt man sich für diesen Prozess ca. 30 Minuten Zeit.
Im nächsten Schritt ist es die Herausforderung, diesen, manchmal auch mühselig gefundenen Griff, wieder los-/fallenzulassen. Dies fällt manchmal sehr schwer, weil man doch endlich einen so tollen Griff gefunden hat, deshalb nannten die Referentinnen diesen Schritt auch „kill your darling“. Nun heißt es zu formulieren, was einem fehlt, wenn es diesen (Be-)Griff nicht mehr gibt und welche neuen Worte man findet, um zu sagen, was einem an dem Griff wichtig war. Auch diesen Griff könnte man nun nochmal fallen lassen und versuchen einen Neuen zu finden. Durch diese Prozesse erweitert/ entfaltet/ verändert sich das Verstehen, der Zugang und die gefühlte Bedeutung des Themas.
In der zweiten Phase gilt es, für diese Griffe jeweils praktische Erlebnisse und konkrete Situationen aus dem (beruflichen) Alltag zu finden und möglichst detailliert zu beschreiben, wie diese Erfahrungen relevante Aspekte und Muster des Themas widerspiegeln. Dabei suchen wir nach dem, was unser Körper an Erfahrungswissen gesammelt hat, während er die Situationen „gelebt“ hat. Daraus lassen sich verborgene Einsichten und Erkenntnisse ableiten, für welches universellere Prinzip diese Erlebnisse gute Beispiele sind. Immer wieder geht es darum herauszufinden, welche neuen Aspekte einem über das Thema klar geworden sind. Auf Grundlage dessen lässt sich dann in der dritten Phase aus den verschiedenen Bausteinen eine Art Theorie bilden, die das Thema neu sprachfähig macht.
Dieses Vorgehen klingt nun sehr kompliziert und verstehen kann man es vielleicht auch nur, wenn man es ausprobiert, erlebt und spürt. TAE stellt dabei jedoch auch nur eine „Leiter“ dar, ein Hilfsmittel, um ein bestimmtes Mindset zu entwickeln, wie wir zukünftig auftretende Probleme/ Blockaden angehen und analysieren wollen. In der Abschlussrunde des Tages wurde deutlich, dass es für alle Teilnehmenden eine bereichernde und neue Erfahrung war, sich auf diese Art mit einem Thema aus dem beruflichen Alltag auseinanderzusetzen. (Johanna Möbius)